Wie schlimm die Warsteiner Gruppe leidet, wird jetzt deutlich. Die Melange aus abgebrochenen Tarifverhandlungen mit der NGG, dem darauffolgenden Austritt aus dem Brauerei- sowie Arbeitgeberverband und der Inthronisierung eines neuen Bosses, dem ein Ruf als knallharter Sanierer vorauseilt, lässt tief blicken.
Als die Meldung eines geglückten Tarifabschlusses für die Tarifverhandlungsgruppe der Sauer-/Siegerländer Brauereien die Runde machte, stand vor allem eine Brauerei im Mittelpunkt: Warsteiner. Wieder als Prügelknabe. Während Veltins und Krombacher sich mit der NGG auf 2,4% mehr Lohn ab Januar 2022 sowie eine Corona-Prämie in Höhe von 750 Euro einigten, winkte man in Warstein ab. Es sei „der völlig falsche Zeitpunkt jetzt solch hohe Forderungen zu stellen“, hieß es seitens des Unternehmens.
In der (aus Warsteiner Sicht) guten alten Zeit hätten sich die Verantwortlichen lieber auf die Lippe gebissen und aus Stolz bezahlt; diesen Stolz kann bzw. will sich die Brauerei heute nicht mehr leisten. Dafür kann man in Pandemie-Zeiten durchaus Verständnis aufbringen (wenngleich INSIDER von einem fairen Tarifabschluss sprechen), allerdings wirkte die Kommunikation nach außen gewohnt unglücklich. Mitten im personellen Umbruch duckte sich der zu dieser Zeit noch offizielle Sprecher der Geschäftsführung, Christian Gieselmann, weg. Ein offizielles Statement musste drei Tage nach den (geplatzten) Tarifverhandlungen erst noch verfasst werden.
Neuer Chef wirft Schatten voraus
Wenige Tage später erklärte Warsteiner als logische Konsequenz obendrein den Ausstieg aus dem Brauereiverband NRW und dem Arbeitgeberverband. Unberührt davon bleibt indes die Mitgliedschaft im Deutschen Brauerbund, wo Warsteiner – bemessen am Nettoumsatz – an den 1,5 Mio Euro Jahresbeitrag der sechs Direktmitglieder beteiligt wird. In Sachen Tarifvertrag wolle die Brauereigruppe in den kommenden Wochen „gemeinsam mit ihren Sozialpartnern über eine individuelle tarifvertragliche Lösung“ sprechen.
Schon seit geraumer Zeit ließ Inhaberin Catharina Cramer hinter den Kulissen nach einem neuen Finanzchef fahnden, der zugleich die Rolle als CEO einnehmen soll. Ausgewählt wurde nun Helmut Hoerz, der auf den kaufmännischen Leiter Dr. Carsten Rockholtz folgt. Rockholtz kehrt Warstein den Rücken, zieht nach Schweden. Gieselmann ist ab sofort nicht mehr Sprecher, bleibt aber weiterhin Marketing- und Vertriebs-Gf. Mit Hoerz hat Cramer einen harten Restrukturier (ohne Getränke-Know-how) ins Haus geholt. Er besetzt bei Warsteiner erstmals seit Gustavo Möller-Hergt wieder die Position des Vorsitzenden der Geschäftsführung und fungiert damit als echte Warsteiner-Spitze. Wie weit sich Catharina hinter dem Elder Statesman zurückhält, wird sich zeigen. Das wollte die hochmotivierte Alleingesellschafterin eigentlich auch schon bei der von Roland Berger geholten Gieselmann-Vorgängerin Alessandra Cama.
Der Ruf als Sanierer
Hoerz war jahrelang Einkaufschef bei Edeka und stand zuletzt an der Spitze von Feinkost Homann, wo er als CEO direkt nach Amtsantritt im März 2019 den Rotstift zückte, um die Kostenbasis zu verbessern. Cramer schwärmt: „Wir haben mit Helmut Hoerz einen sehr erfahrenen Manager gewinnen können, der über eine hohe Expertise im Handel und der Lebensmittelindustrie verfügt und mit dem wir unser Unternehmen weiter strategisch für die Zukunft aufstellen werden.“ INSIDER hegen (mal wieder) die Hoffnung, dass Hoerz nicht nur ein Mann ist, der mit Zahlen umgehen kann und den (internationalen) Handel aus dem Effeff beherrscht, sondern aufgrund seiner Erfahrung auch die flattrige Cramer moderieren kann.
Die Erwartungen an den neuen CEO sind groß. Doch trotz aller Chancen, die mit seiner Person verbunden sind, eilt ihm vor allem ein Ruf voraus. Bei Homann griff Hoerz hart durch. Kurz nach seinem Antritt stellte er die Matjes-Produktion auf Rügen ein. 50 Mitarbeiter waren betroffen. Bald darauf sperrte er ein Werk mit 65 Mitarbeitern in Thüringen zu. Am Ende seines Engagements fällte er das Urteil: Sanierung unmöglich! Folgerichtig hat sich Theo Müller, der Homann 2012 übernommen hatte, von seiner Feinkostsparte getrennt. Der britische Finanzinvestor Pamplona Capital Management (Johma Salate) und die Wernsing-Gruppe (Popp Feinkost) übernehmen. Den Ruf eines Restrukturierers erarbeitete sich Hoerz auch in seinem Job zuvor bei Alete. Deutschlands einst größte Babynahrungsmarke rettete er kurz vor der Insolvenz und verkaufte das Vertriebsgeschäft an die DMK Deutsches Milchkontor GmbH (Milram), Deutschlands größte Molkereigenossenschaft.
Was bedeutet das für die Warsteiner-Gruppe mit ihren Standorten in Herford, Paderborn und Warstein, sowie für König Ludwig in Fürstenfeldbruck, wo Prinz Luitpold freilich einen Daumen auf der Marke hat? INSIDER sehen bei der Brauerei weniger ein Kostenproblem als vielmehr ein Markenproblem. Verantwortlich dafür zuletzt: Gieselmann. Immerhin der Vertriebsapparat rund um Handelschef Michael Grupp funktioniert. Das 2020 mit hohen Werbespendings eingeführte, und dennoch stets erklärungsbedürftige Brewers Gold wurde lupenrein gelistet und kam so auf rund 50.000 hl. Auch dieses Jahr dürfte das Niveau der neuen Sorte fast gehalten werden. Allerdings: Warum haben es die Verantwortlichen nicht mit einer regionalen Marke a la Veltins‘ Pülleken versucht? In Warstein herrscht noch immer unverdrossen das Selbstverständnis einer Weltmarke.
Aktuell läuft es im Handel zwar nicht gut. Doch befindet sich Warsteiner dort fast auf Marktniveau mit der Konkurrenz. Die verlorenen Hektoliter (ca. 250.000 hl) nach der Preiserhöhung im Oktober 2019 sowie die verheerenden Fassbierverluste durch Corona lasten aber schwer auf der Betriebswirtschaft. Nun ist Sanierer Hoerz gefragt, mit seiner Expertise das zu schaffen, was die Roland Berger-Crew zuvor nicht schaffte: eine Trendwende.
Artikel aus INSIDE 880