Die Berliner VLB unternimmt wieder mal einen Anlauf, das chaotische Leergut-Rücklaufsystem zu sortieren. Am Ende kommt es wie immer auf die Marktteilnehmer an: auf die Bereitschaft des Handels, Leergut systematisch zu erfassen. Und auf die Industrie, die abwägen muss, was ihr Informationen über ihre Kästen und Bottles wert sind.
Das Ende der Fahnenstange liegt beim deutschen GFGH im Hinterhof: Abertausende Kisten gemischtes Leergut. Ein Alptraum. Die Wertschöpfungswiese: abgegrast. Die Aktionen beendet, WKZ und Logistikzuschüsse bezahlt.
Es ist das immer gleiche Spiel: Während der deutsche Getränkehandel das System Mehrweg wie einen Rosenkranz vor sich herbetet, inthronisiert von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die chronisch Druck auf das 70%-Versprechen der Bundesregierung macht (und sich nach der Bundestagswahl im September gestärkt fühlen dürfte), fehlt es hüben wie drüben am ernsthaften Willen, das Kernproblem Leergut in den Griff zu bekommen. Bei der VLB in Berlin, die sich seit Jahren dem Problem Leergut-Stammdaten widmet, ist der Arbeitskreis Logistik wohlfeil besetzt.
Passiert ist mit Bezug auf die Leergut-Stammdaten allerdings nicht viel. Noch immer wissen Hersteller in den seltensten Fällen, wo ihre Kästen und Bottles kursieren – trotz ausgereifter RFID-Technik. Ein Feldversuch mit dem Brauer und Abfülldienstleister Georg Rittmayer, Hallerndorf (zugleich Präsident der Privaten Brauer), der in Zusammenarbeit mit Siemens und der Gustav Wilms oHG in Bad Essen seine Kästen mit RFID-Technolgie chippen ließ, verlief soweit erfolgreich, dass die Markttauglichkeit des Systems bewiesen wurde. Doch solange es beim Handel an Lesegeräten fehlt, die die in den RFID-Transpondern implementierten Informationen erfassen, bleiben Projekte wie dieses in den Kinderschuhen stecken.
Gebetsmühlenartig dagegen jeden Sommer: die Bitte der Industrie, Kästen zurückzugeben. Die mutmaßlichen Antreiber des Mehrwegsystems sind bei der Frage, wie die drängenden Fragen der Leerguterfassung gelöst werden können, nicht unbedingt die Wortführer. Selbst beim Verband ProMehrweg, der ansonsten gern Hand in Hand mit der DUH marschiert, hält man sich bei Fragen nach Investitionen ins Leergut-System bislang eher bedeckt. Gegenüber INSIDE verweist EX-GFGH-Verbandschef Günther Guder, heute geschäftsführender Vorstand bei ProMehrweg, auf seine einschlägigen Erfahrungen bei den Verhandlungen von GS1 mit Industrie und Handel vor ein paar Jahren. Seinerzeit ging es um die (nie stattgefundene) Einführung einer neuen Poolflasche und um eine neue Rückführstrategie für Leergut. Sehr „ernüchternd“ sei das gewesen, erklärt Guder heute. Der Diskussionsbedarf ist seitdem eher noch größer geworden.
„Intransparenz bezüglich der Bestände“
Am Ende muss es also doch wieder die Berliner VLB richten – auch wenn sie all die schönen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse allein nicht umsetzen kann. Innerhalb der Leergutrückführung herrsche „in der Regel eine Intransparenz bezüglich der Bestände und der Qualitäten des Leergutes, welches sich zwischen Konsumenten, Gastronomen/GAM/LEH, GFGH und den Abfüllbetrieben im Rückfluss befindet“, heißt es in einer Art Bestandsaufnahme, mit der die VLB die Zielsetzung des Projektes „Di-Me-Pro“ definiert. Di-Me-Pro steht für „Digitalisierung von Mehrwegprozessen“; das Projekt wird über einen Fonds gefördert, mit dem das Bundeswirtschaftsministerium digitale Projekte bei mittelständischen Unternehmen mitfinanziert (siehe Kasten auf dieser Seite).
In Sachen Sisyphusarbeit bei der Leergut-Erfassung ist u.a. Wilms mittlerweile gestählt. Seit Jahrzehnten forscht man dort an der RFID-Technologie und hat das System zur Marktreife entwickelt. Demnach könnten bei überschaubarem technischen Aufwand Getränkekisten bei der Herstellung oder auch nachträglich mit RFID-Transpondern gechippt werden. Eine Pulk-Erfassung einzelner Kästen in z.B. vorbeifahrenden Lastwagen wäre dann möglich. Vorausgesetzt die nachgelagerte IT würde entsprechend aufgerüstet, wüssten Abfüller, wo sich ihr Leergut tatsächlich befindet. Logistikwege könnten neu konzipiert, Sortier- und Transportaufwand reduziert, der CO2-Ausstoß vermindert und somit Kosten gespart werden.
Zwischenlösung mit Di-Me-Pro?
Allein: An der Umsetzung hapert es, Industrie und Handel schieben sich die initiale Investition nach dem Henne-Ei-Prinzip hin und her. Mit der VLB ist Wilms seit jeher eng verbunden, dass bis Herbst 2022 terminierte Projekt Di-Me-Pro hat jetzt eine pragmatische Zwischenlösung entwickelt: RFID-Etikettenaufkleber, mit denen ganze Paletten markiert und über elektronische Systeme erfasst werden könnten.
Für den sortierenden Handel (manuell oder/und automatisch) bedeutete das freilich einen Mehraufwand, von dem in erster Linie der Abfüller profitiert: Er könnte externe Bestandsdaten verwenden, um den eigenen Planungsprozess zu optimieren (das Gleiche gilt für die Weiterleitung von Daten aus Rücknahmeautomaten des LEH). Am Ende wird auch hier die Frage stehen: Wer bezahlt die ganze Party?
Artikel aus INSIDE 884