Im rückläufigen Biermarkt ist Weißbier ganz besonders getroffen. Mittendrin der Markenpionier und Marktführer aus Erding. Der will jetzt das Ruder herumreißen. Es wird Zeit.
Dass die Akzeptanz bröckelt, ist lange zu erkennen. Vor zehn Jahren lag Weizen (ohne alkoholfrei) noch bei über 8% Anteil, heute sind es gut 6% (vgl. Strobls Bierradar). Die Weißbiertrinker-Kohorte wird immer älter. Zwar funktioniert Bayern als Bierabsender weiterhin, aber für Helles, das sich im gleichen Zeitraum von 4,5% auf fast 9% verdoppelte.
Beim Erdinger Weißbräu sah man die Entwicklung kommen. Fand aber keine Antwort. Lange glich das von Inhaber Werner Brombach schon in den frühen Neunzigern erfundene Erdinger Alkoholfrei die Schwäche der Hauptmarke über Jahre hinweg aus. Doch diese Zeiten sind vorbei. Spätestens mit Beginn der Corona-Krise ist auch das Alkoholfreie ins Minus gedreht. Die Pilsmarken holen beim Alkoholfreien auf, alkoholfreies Weißbier verliert, auch im Handel, kumuliert zweistellig.
Einer Modernisierung der Marke, oder gar der Rezeptur (auf 0,0?) stellt sich Brombach entgegen, so wie weiland schon bei den alkoholfreien Biermixen (Zitrone und Grapefruit), die zehn Jahre als Plan in der Schublade blieben, bevor sie 2017 zu einem Zeitpunkt herausgeholt wurden, als Radeberger mit Schöfferhofer den Trend längst abgefieselt hatte. Und so zeigt die Absatzkurve der hochmodernen, 2018 um eine 50 Mio Euro schwere Abfüllanlage ergänzten Brauerei, kontinuierlich nach unten. Im ersten Pandemiejahr 2020 gingen 12,3% verloren, 2021 sieht es kaum besser aus, immerhin der Auslandsabsatz, wo Weißbier noch eine Trendsorte ist, wächst wieder.
Dolchstoß aus München
Der Kostendruck wird allmählich greifbar. Ein Ausgleich per Preiserhöhung wird sehr schwierig: Franziskaner, das von AB Inbev in den Aktionspreisen unterhalb von 11 Euro/Kiste manchmal auch zu 9,99 Euro verklopft wird, hat sich nach unten abgesetzt. Nun stößt auch Paulaner den Dolch in Erdingers Hochpreis-Strategie. Der Münchner Dauerrivale erhöht zwar zum 1. Februar seine Preise um rund sechs Euro je hl. Doch die Sorte Weißbier klammert Paulaner explizit aus. Stattdessen muss die Privatbrauerei Erdinger Weißbräu, die 2019 laut Bundesanzeiger aus knapp 190 Mio Euro Umsatz noch 6,5 Mio Überschuss holte, Kosten senken.
Dafür steht in Erding besonders ein Name: Der von Deloitte gekommene Finanz-Geschäftsführer Dr. Stefan Huckemann dreht das von jeher auf Vertrieb und Marketing ausgerichtete Unternehmen derzeit auf links. Gewöhnungsbedürftig für die Oberbayern: Plötzlich wird mehr über Prozesse als über Hektoliter gesprochen. Der Westfale Huckemann, von genervten Mitarbeitern schon als „Fremdkörper“ tituliert, dreht an vielen Schrauben. Zum Jahreswechsel wird SAP eingeführt. Vorsorglich wird die Rampe für einige Tage gesperrt. Ab Januar sollen Abholung und Rechnungsstellung wieder funktionieren.
Mit den sinkenden Mengen wird auch der nationale Vertriebsapparat immer teurer. Oft schon wurden Vertriebs-Kooperationen ausgehandelt, doch ließ sie Brombach alle abblitzen. Auch die Gastro-Zusammenarbeit mit der Bitburger Braugruppe wurde beendet, nachdem Brombach eine fixe Vereinbarung über eine weitergehende Kooperation im letzten Moment abblies. Bitburger entwickelte erst daraufhin eine eigene Marke, Benediktiner. Der 81-jährige Brombach, unverändert rege, hellwach und bis auf regelmäßige Hawaii-Aufenthalte tagtäglich im Büro, will sein Lebenswerk nicht in einer fremden Organisation aufgehen sehen.
Highway to Hell
Die eigenständige Erdinger-Truppe soll erhalten bleiben. Der Stolz ist nachvollziehbar. Die Mannschaft von Vertriebsgeschäftsführer Josef Westermeier hat Erdinger zur am besten distribuierten deutschen Biermarke gemacht. Die gewichtete Distribution in LEH und Fachhandel (ohne Harddiscount) liegt laut Nielsen bei 95%, da können einzig Beck’s, Warsteiner und Krombacher mithalten. Potentiale gibt es nur noch bei Aldi oder Lidl (auch darüber wird in Erding nachgedacht). Doch die Vertriebsmaschine braucht Futter.
Und tatsächlich scheint die Volumenkrise nun auch den obersten Gralshüter zum Umdenken anzuregen. Die internen Diskussionen um einen neuen Anlauf auf das wachsende Hellbier-Geschäft werden von Brombach laut INSIDERN nicht mehr ganz so kategorisch abgebügelt.
Ein eigenes Hellbier unter dem Erdinger-Label, wie es Josef Westermeier und Marketing-Chef Wolfgang Kuffner schon lange vorschwebt, schloss Brombach bislang aus. Erst spät, 2016, einigte man sich intern auf eine Art Kompromiss und schob Stiftung Hell in der Euroflasche in den Markt. Doch die etwas akademisch daherkommende Marke blieb bei 50.000 hl hängen, weit hinter den anderen Retro-Retorten Bayreuther, Chiemseer oder Mooser Liesl. Nun, so berichten es INSIDER, könnte der Ruf von leitenden Mitarbeitern (und großen Kunden) doch noch Gehör finden. Die plädieren für eine pragmatischere Lösung: Erdinger hell.
Artikel aus INSIDE 889