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#873

Colin Dinkelacker: Radikalkur in Stuttgart

Colin schneidet Dinkelacker zurück

Nichts ist heilig, zentrale Mitarbeiter, zentrale Ressorts und sogar die Flaggschiffmarke selbst werden geopfert: Mit einer Radikalkur will der vor einem halben Jahr angetretene Colin Dinkelacker die Familienbrauerei aus der Krise führen. 

Es war der Sprung ins kalte Wasser, genauer: der auf die harte Eisfläche. Eigentlich sollte Colin Dinkelacker ab September 2020 vom langjährigen Sprecher Bernhard Schwarz eingearbeitet werden, um dann irgendwann als erster Familienspross seit Urgedenken das Ruder der Stuttgarter Brauerei zu übernehmen (INSIDE 851). Doch Schwarz, 60, musste kurz vor Colins Antritt den Hut nehmen, der 29-Jährige fing seine Lehrzeit gleich als CEO an (INSIDE 859). Mitten in der schwersten Krise.

Die Brauerei verdiente schon vor Corona kein Geld. Viel zuviele Artikel, viel zu viel Komplexität, viel zu hohe Kosten. Colinder zuvor nur im Innovationsmanagement bei Alfred Ritter Erfahrungen sammelte, nahm die Aufgabe entschlossen an. 200.000 hl Handelsmarkenaufträge, u.a. für Lidl, wurden knallhart gekillt, nur ein Teil wanderte zur 67%-Tochter Mauritius Brauerei nach Zwickau. 30 Stellen wurden gestrichen. 

Nun folgte der zweite Streich. Handelschef Christian Malzer, seit elf Jahren bei Dinkelacker und bestens verdrahtet zu den Granden des LEH-Einkaufs, musste trotz guter Performance ins Gras beißen. Sein Job wird kurzerhand aufgeteilt, die Betreuung von GFGH und Fachhandel landet bei Gastro-Chef Til Odenwald. Um die Key Accounts im Handel soll sich Christian Liess kümmern, der Leiter der deutlich kleineren Exportabteilung. 

Wir wollen Schwaben

Offenbar sieht Dinkelacker die Notwendigkeit für einen Neubeginn, zumal die Vermarktung künftig auf zwei Marken reduziert werden soll. Der Großteil des 2019 noch gut 500.000 hl großen Marken-Portfolios muss ohne Werbung, WKZ oder anderer Unterstützung auskommen. Neben Überbleibseln wie ClussHaigerlocherKloster Sigel gibt es auch für die ehedem stolze Weizenmarke Sanwald keinen Cent mehr. Welche zwei Marken stattdessen noch forciert werden, will Colin Dinkelacker noch nicht verraten. INSIDER unken, dass dem Erneuerungsdrang sogar der eigene Familienname zum Opfer fallen könnte. Hoffnungsträger sind die größte Marke Schwabenbräu sowie das 70.000 hl große Wulle. Die in Stuttgart eigentlich fest verankerte Dinkelacker-Gastronomie wird vermehrt auf Schwabenbräu umgestellt. Wulle indes soll fortan auch Kunden außerhalb der Kernregion ansprechen. 

Markenbrauerei ohne Marketing

Den ungewöhnlichsten Schnitt macht Dinkelacker im Marketing. Die Abteilung wird vollständig aufgelöst. Marketingchef Stefan Seipel, seit 14 Jahren im Haus, schien als Wulle-Erfinder eigentlich unantastbar, zumal er auch bei Ulrich Schill – dem inzwischen über 80-jährigen früheren Beirat (der weiterhin als graue Eminenz im Hintergrund gilt) – höchst angesehen war. 

Vorletzte Woche aber musste Seipel nach knapper Information den Schreibtisch ausräumen, mit ihm wurden auch seine fünf Mitarbeiter sowie der für Wasen, Events und Messen zuständige Veranstaltungsleiter Matthias Bucher freigestellt und vom Werksschutz aus dem Büro begeitet. Die Kündigungen erfolgten betriebsbedingt, es soll keine Nachfolger geben. Werbung, Produktdesign und Kommunikation sollen künftig von externen Agenturen übernommen werden. Überwacht von einem neuen „Vermarktungsteam“, in dem außer Colin Dinkelacker der neue Export/Handelschef Liess, Gastro/GFGH-Chef Odenwald und die Innendienstleiterin Gabriele Künzer (seit 20 Jahren bei Dinkelacker) sitzen. Das Vierergremium soll dann die Arbeit der Agenturen koordinieren. 

Die rigiden Maßnahmen sind nicht auf Colins Mist allein gewachsen. Als Berater steht ihm von Anfang an der langjährige Paulaner-CEO Roland Tobias zur Seite (INSIDE 866). Der 57-Jährige, seit Inbev-Zeiten ein Vertrauter von Eminenz Schill, soll Colin mit seiner Expertise zur Seite stehen. Die ist eher struktureller Natur, Markenentwicklung gehört aus der Sicht von Paulaner-Veteranen nicht zu Tobias‘ Paradedisziplinen. 

Spekulationen aber, wonach die Brauerei für einen kommenden Verkauf fertig gemacht werde, erteilt Colin Dinkelacker eine klare Absage. Der junge CEO will die Familienfirma unbedingt wieder in die Spur bringen. Die Rückendeckung der Anteilseigner, Vater Carl Peter Dinkelacker, Onkel Christian, sowie Großonkel und Mehrheitsgesellschafter Wolfgang Dinkelacker und dessen angeheirateten Neffen Franz Kollmann, ist Colin offenbar sicher.       

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