Der Spirituosenhändler Hellwege muss sich nicht weniger als neu erfinden und gigantisches Wachstum anpeilen. In diesem Zusammenhang nimmt Geert Benedictus, seit fünf Jahren an der Spitze von Hellwege, den Hut.
Das Zauberwort in Wedel heißt nicht ganz ungewöhnlich Digitalisierung. So wie sich die Muttergesellschaft B&S bei vielen Tochterfirmen auf digital einschwört, soll auch der deutsche Spirituosenhändler stärker ran. Angetrieben wird das Ganze laut INSIDERN vom Mehrheitsaktionär der Gruppe Willem Blijdorp, respektive dessen Söhnen Florian und Leendert, die in der Zentrale in den Niederlanden sitzen, während ihre Schwester im Parfumgeschäft in Fernost arbeitet. Gedacht wird groß. Der Hellwege-Umsatz von derzeit 50 Mio Euro soll nicht weniger als vervierfacht werden.
„Das“, behauptet Peter Gangfuß, der eingetragene Geschäftsführer für Hellwege in Wedel, „ist uns auch schon bei anderen Firmen gelungen“. B&S ist weltweit in vielen Feldern (u.a. Spirituosen, Schönheits- und Gesundheitsprodukte) unterwegs, auch im Travel Retail Geschäft, das mit der Pandemie einbrach und den Kurs der Aktie geviertelt hat. Vor zwei Jahren ging die Firma (Umsatz knapp 2 Mrd Euro) an die Börse. Die Familie hält nach wie vor die Mehrheit. Auch der langjährige B&S-CEO Bert Meulman hielt Anteile. Meulman ist Vergangenheit, schied im Juni – offiziell aus persönlichen Gründen – aus, wird von Tako de Haan ersetzt.
INSIDER lesen den Abgang anders. Die Diskussion um den richtigen Weg der Digitalisierung scheint – wie andernorts auch – durchaus kontrovers geführt zu werden. Corona tut ein übriges. Auch in Deutschland sollen die Gespräche nicht ohne Reibung gelaufen sein. Dabei hatte Hellwege-Chef Geert Benedictus bei seinem Amtsantritt wichtige Schritte eingeleitet.
Das Sortiment wurde breiter und tiefer. Benedictus war vernetzt im Konzern, als er in Deutschland, damals noch im tristen Prisdorf, bei Hellwege antrat. Er arbeitete seit 2010 bei der zur Gruppe gehörenden Dranken Square B.V., machte rasend schnell Karriere, hatte einen guten Draht zum langjährigen Chef Meulman. Obwohl er noch sehr jung ist, nahm er nicht alle, aber doch viele Mitarbeiter mit auf die Reise und wurde schnell mit den Usancen des deutschen Marktes warm.
Aus Sicht der Niederländer vielleicht zu warm. Die Niederländer multiplizieren Erfolgsmodelle gern und schnell, neigen dabei zur Ungeduld. Die Sortimentsausweitung hat auf jeden Fall Hellweges Logistik sehr beansprucht. So musste, haben INSIDER beobachtet, das Sortiment beschnitten werden.
Vollgas mit Sanierungsprofi Gangfuß
Das alles kam zur Unzeit. Im Pandemie-Jahr wird kleinteiliger bestellt, Feinlogistik war gefragt. Da hapert es nach wie vor bei Hellwege, wohl auch, weil nie genug investiert wurde. Einige Mitarbeiter gingen von Bord, da andernorts besser bezahlt wird. Schon im Geschäftsbericht des vergangenen Jahres stand, dass die Mannschaft aufgestockt werden soll. Derzeit sind es in Wedel inklusive Buchhaltungskräften gerade mal noch 13. Die müssen viel stemmen. Der Umsatz stieg trotz allem. Aber nicht genug. Benedictus nahm den Hut.
Das Personal erstmal wieder auf seine Ausgangsstärke bringen will nun Peter Gangfuß. Gangfuß hat schon Hellwege vor 18 Jahren aus der Insolvenz in neue Hände – in die der Niederländer – überführt, wurde als Selbstständiger ein wichtiger Berater der Gruppe und kennt Hellwege gut.
Jeden Tag wird er nicht in Wedel sein, das lassen seine Multijobs (als Insolvenzverwalter, Geschäftsführer diverser Firmen und Chef einer Beratungsfirma) nicht zu. Gangfuß baut an allen seinen Einsatzorten auf ein Netzwerk und auf Zuarbeiter. Heißt, mit dem Tagesgeschäft bei Hellwege hat er nichts am Hut. Er ist schon im März als Geschäftsführer bestellt worden, als offizieller Nachfolger von Geert van Laar. Der langjährige B&S-Finanzchef war seit vielen Jahren auch eingetragener Geschäftsführer bei Hellwege und hat sich im Frühjahr in den Ruhestand verabschiedet.
Der neue Mann fürs operative Geschäft heißt Ken Lageveen, ist Direktor Vertrieb bei der Mutter B&S. Er wurde jetzt nach dem wohl überraschenden Abgang von Benedictus nach Wedel beordert. Lageveen hat einiges zu tun. Die gelichteten Reihen müssen geschlossen werden. Bis zum Jahresende sollen zwei bis drei neue Mitarbeiter dazu kommen. Ein Anfang. Und er muss sich mit Gangfuß einfallen lassen, wie die neue Digitalisierungsstrategie aus den Niederlanden in Deutschland umgesetzt werden kann und das so gut, dass der Umsatz auf 200 Mio Euro steigt. Erst wenn das alles steht, soll es wieder einen eigenen „Statthalter für Deutschland“ geben.
Benedictus selbst hüllt sich in Schweigen. Angeblich soll er in Hamburg bleiben und auf „die andere Seite“ wechseln – Industrie statt Handel.
Artikel aus INSIDE 861